Archiv März 2021

Wurden Menschen mit schweren Behinderungen beim Impfen einfach vergessen?

Eins vorneweg: wir alle gönnen jeder und jedem eine Impfung gegen Covid19. Denn jede Impfung bringt unsere Gesellschaft unserem gewohnten Alltag vor Corona einen Schritt näher. Doch immer mehr Menschen mit schweren Behinderungen fühlen sich bei der Verteilung der Impfberechtigung vergessen, verloren, verlassen. Der Frust steigt. Die Angst, zu erkranken, einen schweren Krankheitsverlauf zu haben und daran zu sterben ist groß. Nachdem inzwischen auch kerngesunde Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer impfberechtigt sind – und auch viele bereits ihren ersten Impftermin hatten – verstehen viele betroffenen Familien die Welt nicht mehr.

„Wie soll unsere 11 monatige Tochter mit Trisonomie 21 uns Eltern die Impfberechtigung erteilen?“

Nun sind zwei enge Kontaktpersonen von impfberechtigten Menschen nach der STIKO Stufe 2 und 3 impfberechtigt. Seit einer Woche gibt es dazu das entsprechende Formular, um die Impfberechtigung nachzuweisen. Doch die Formulierungen machen deutlich, dass hier niemand die Familien mit behinderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bedacht hatte. Der impfberechtigte Mensch kann max. zwei enge Kontaktpesonen benennen, die dann impfberechtigt sind. Jetzt rief die Mama einer 11 Monate alten Tochter mit Trisonomie 21 an, wie sie denn den Nachweis jetzt führen solle? Die Tochter könne ihr ja nicht die Bestätigung ausfüllen … Klar, die Eltern eines minderjährigen Kindes sind dessen gesetzliche Vertreter und können sich daher in dieser Rolle die Bescheinigung selbst ausstellen. Aber wie dieser Tatsache im Impfzentrum erklären? Wir raten den Eltern, Stammbuch, ärztliche Atteste, Schreiben der Krankenkassen usw. mitzunehmen. Was für eine Bürokratie …

Ungeklärt ist bislang auch, ob die Eltern behinderter Kinder, die normalerweise in einer besonderen Wohnform leben, aber die Wochenenden und Ferien bei den Eltern zuhause verbringen, impfberechtigt sind. Nach bisheriger Lesart der Corona-Impf-Verordnung und der Auslegung in Baden-Württemberg sind sie es nicht.

Völlig vergessen fühlen sich Menschen mit Behinderungen, die zuhause leben und im sog. Arbeitgebermodell ihre Pflege sicherstellen. Pflegekräfte, die bei einem Pflegedienst angestellt sind, sind impfberechtigt – im Unterschied zu den Pflegekräften, die bei einem Menschen mit Behinderung direkt angestellt sind. Das versteht niemand und lässt die Betroffenen verzweifeln. Am Dienstag meldete sich ein Betroffener bei uns und schilderte seine Not:

„Impftermin erhalten – und zwei Mal im Impfzentrum abgewiesen worden.“

„Ich bin Rollstuhlfahrer und als Säugling an schwerer Kinderlähmung erkrankt. Außerdem binich rund um die Uhr auf ein Atemgerät angewiesen.

Am 12 Januar sollte ich in M. geimpft werden. Am 11 Januar sollte ich nochmal anrufen, um den zweiten Termin festzulegen. Bei diesem Gespräch wurde ich wieder ausgeladen, da ich nicht impfberechtigt sei.

Am 2 März hatte ich erneut einen Impftermin im Impfzentrum in H. Ich war so erleichtert, jetzt endlich geimpft zu werden. Als ich dort ankam, wurden meine Unterlagen geprüft und ich wurde weitergeleitet an eine Ärztin, die mir sagte, dass ich nicht geimpft werde, da ich nicht berechtigt sei mit dem Impfstoff von Biotech geimpft zu werden. Ich zeigte ihr die Bestätigung aus der implizit drin stand, dass ich am 02.03.21 um 11.39 Uhr mit dem „Gebuchter Impfstoff: Corona-Impfstoff – Comirnaty (BioNTech)“ geimpft werden soll. Das interessiert sie nicht. Ich hätte gar nicht vom Callcenter die Bewilligung erhalten dürfen und ihr ist das Problem bekannt, aber sie dürfe mich nicht mit dem (BioNTech) impfen. Als ich das von ihr so kalt ins Gesicht geschleudert bekam, war es für mich als habe sie mir soeben mein Todesurteil ausgesprochen.

Ich sagte ihr das auch und bat sie mir dann eben den Impfstoff von AstraZeneca zu geben, damit ich mich jetzt nicht umsonst dem Risiko ausgesetzt habe, mich anzustecken. Denn ich lebe jetzt schon fast ein Jahr in Quarantäne und eben weil ich weiß, dass – wenn ich mich anstecke – dies mein Todesurteil bedeutet. Darauf entgegnete sie mir, sie hätten hier überhaupt kein Impfstoff von AstraZeneca. Ich merkte wie ich – trotz Beatmung – keine Luft mehr bekam und eine unsagbare Wut und Ohnmacht brach sich bahn.

Mein ganzes Leben – 61 Jahre lang – habe ich um meine Daseinsberechtigung und Eigenständigkeit gekämpft und viele Kämpfe ausgetragen und hier scheiterte ich. Ich habe das Impfzentrum als gebrochener Mann verlassen und den Glauben an unseren Staat, dem ich soviel zu verdanken habe, verloren. Bitte helfen Sie mir, ich weiß nicht mehr weiter!“