Archiv Dezember 2021

„Triage“ – Entscheidung über Leben und Tod

Endlich! Wir sind erleichtert! Heute hat das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss zur „Triage“ veröffentlicht und den Verfassungsbeschwerden der Menschen mit Behinderungen stattgegeben: „Der Gesetzgeber muss Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen für den Fall einer pandemiebedingt auftretenden Triage treffen.“

Der Begriff „Triage“ stammt aus der Militärmedizin aus Napoleons Zeiten. Das ist jetzt über 200 Jahre her. Im Kern geht es im Kriegs- oder Katastrophenfall abzuwägen, wer bei knappen Ressourcen die besten Aussichten auf Überleben hat. Und mit jeder neuen Welle in der Coronakrise füllen sich die Intensivstationen der Kliniken – und jeden Tag wächst die Angst behinderter Menschen, im Falle eines Falles nicht die notwendige Hilfe zu erhalten – weil kein Bett auf der Intensivstation für sie frei ist oder weil der letzte Beatmungsschlauch bereits vergeben ist. Angst fressen Seele auf … was wäre, wenn man im Fall der Fälle das Recht auf Leben abgesprochen bekäme aufgrund der eigenen Behinderung? Eine zweite Chance auf Leben gibt es nicht …

„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Das Bundesverfassungsgericht hat es sich nicht einfach gemacht und gründlich recherchiert. Und die Sorgen und Ängste der Menschen mit Behinderungen ernst genommen und geteilt. Allen Beteuerungen und Leitlinien zum Trotz besteht ein Risiko, in einer Situation knapper Ressourcen im Gesundheitswesen aufgrund der Behinderung benachteiligt zu werden. Das wäre ein klarer Verstoß gegen Artikel 3 Satz 3 Grundgesetz: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

„Behindert oder nicht behindert: jedes Leben ist gleich viel wert.“

Seit Monaten haben Menschen mit Behinderungen Angst, in der aktuellen Coronakrise ins Krankenhaus zu müssen – und womöglich aufgrund fehlender Ressourcen von dringend notwendiger Hilfe ausgeschlossen zu werden. Ich kann diese Angst, die durch den ganzen Körper kriecht, nachfühlen. Es ist dieses Gefühl der Ohnmacht, sich nicht schützen zu können. Ausgeliefert zu sein … Das hat das Bundesverfassungsgericht klar erkannt und einen wirksamen Diskriminierungsschutz im Gesundheitswesen gefordert und auf Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention verwiesen. Recht hat das Gericht!

Der Gesetzgeber muss handeln. Unverzüglich! Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf Schutz ihres Lebens – wie alle anderen auch!

Mehr dazu unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-109.html