Das große Rennen: wer wird zuerst geimpft?
Die Antwort: Eltern schwerstbehinderter Kinder müssen noch immer warten bis sie an der Reihe sind, Mitarbeitende in Kitas und Schulen sind vorrangig dran.
Im Dezember 2020 atmeten wir alle auf. Erinnern Sie sich? Erste Impfstoffe wurden zugelassen und uns einte die Hoffnung, die Coronakrise schneller als erwartet hinter uns zu lassen.
Und unsere Gesellschaft einte der Grundsatz, dass die besonders vulnerablen Personen vorrangig geschützt werden müssen. Wir haben gelernt, dass vulnerabel – also besonders gefährdet – vor allem hochbetagte Menschen sind, die in Pflegeheimen leben. Doch auch Menschen mit geistiger Behinderung, mit mehrfachen Vorerkrankungen sind besonders gefährdet. Bei einer Erkrankung laufen sie Gefahr, einen schwerwiegenden oder gar tödlichen Verlauf zu erleiden. Im Bewusstsein, dass – zumindest am Anfang – nicht ausreichend Impfstoff für alle zur Verfügung stehen wird, hat die Ständige Impfkommission (Stiko) auf wissenschaftlicher Basis Empfehlungen erarbeitet, wer vorrangig geimpft werden soll. Diese Erkenntnisse finden sich in der Corona-Impf-Verordnung des Bundes wieder. Und viele Menschen mit schweren Behinderungen und deren Familien haben akzeptiert, dass es noch gefährdetere Menschen gibt und sie daher noch warten müssen, bis sie an der Reihe sind und die Impfung für „Personen mit hoher Priorität“ startet.
Am Wochenende hat dann Baden-Württembergs Landessozialminister über die Medien bekannt gegeben, dass ab sofort alle Erzieherinnen und Erzieher sowie alle Lehrerinnen und Lehrer impfberechtigt seien und vorgezogen werden. Seit Montag steht bei uns das Telefon nicht still. Mails von Eltern schwerstbehinderter Kindern erreichen uns, weil sie noch nicht an der Reihe sind.
Eine Mutter schreibt: „Meine Tochter ist schwer mehrfachbehindert und hat einen Pflegegrad 5. Eine überregionale Fachklinik hat ihr ein Attest ausgestellt, dass sie zur Personengruppe der Priorität I zählt. Sie bekam im Impfzentrum keine Impfung. Wir wurden weggeschickt mit der Begründung, dass kein Arzt über die Priorisierung entscheiden kann. Wir sollen warten bis wir dran sind.“
Und eine andere Mutter schreibt: „Mehr Menschen in Baden-Württemberg bekommen ein Impfangebot, u.a. Tätige in der ambulanten oder stationären Versorgung von Personen mit Demenz oder geistiger Behinderung. Ich nehme mal an, dass der Personenkreis der häuslich Pflegenden – also wir pflegenden Eltern – damit mal wieder nicht gemeint ist. Wir sollen wohl weiter warten.“
Oder: „Seit fast einem Jahr sind wir auf uns allein gestellt. Wir pflegen und versorgen unser schwerstbehindertes Kind rund um die Uhr zuhause. Und jetzt haben wir immer noch nicht eine Chance auf eine Impfung. Wir erhalten keinen Impftermin, weil wir nicht impfberechtigt seien. Nur Lehrer und Erzieher werden jetzt vorgezogen. Wir verstehen die Welt nicht mehr.“
Oder: „Eltern eines schwerstbehinderten, Tag und Nacht beatmeten Kindes wurden trotz Termin in Mannheim ohne Impfung wieder nach Hause geschickt. Und warum? Sie konnten den „verlangten Nachweis ihres Arbeitgebers“ nicht vorlegen. Klar – Eltern sind in diesem Fall auf Grund dessen Eltern, weil sie ein „besonderes“ Kind haben, das quasi der Arbeitgeber ist. Dieses Vorgehen verstehe wer will … ich und viele, die „sich auskennen“, verstehen das ebenfalls nicht.“
Ich gönne allen eine Impfung gegen Covid19. Aber dass schwerstbehinderte Menschen, die zu den besonders vulnerablen Personen (und daher besonders zu schützen sind) zählen und ihre Eltern als engste Kontaktpersonen noch nicht mit Impfen dran sind, das verstehe wer will. Ich nicht. Und langsam weiß ich nicht mehr, wie ich verzweifelte Eltern trösten kann. Sie sorgen sich um das Leben ihrer Kinder und brauchen eine Perspektive!