Barrierefreies Wählen – einfach machen!

Noch gut fünf Wochen bis zur Bundestagswahl am 26. September 2021. Die Wahlbenachrichtigungen sind verschickt. Für viele Menschen mit Behinderungen ist es selbstverständlich, wählen zu gehen. Mitbestimmung ist für sie keine Nebensächlichkeit. Das Recht, wählen zu dürfen, haben sie sich gemeinsam mit den Selbsthilfeverbänden hart erkämpft. Keine Spur von Wahlmüdigkeit – im Gegenteil.

Demokratie braucht Inklusion!“

„Demokratie braucht Inklusion“, sagt Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Stimmt. Der Bundeswahlleiter weist vor der Bundestagswahl darauf hin, wie wichtig der barrierefreie Zugang zum Wahlraum besonders für Wahlberechtigte mit Mobilitätseinschränkung ist. Seine Stimme per Briefwahl abzugeben ist – gefühlt – nicht das Gleiche wie die Stimmabgabe im Wahlraum. Demokratie wird auf ganz besondere Weise erlebbar, wenn man als Wahlberechtigte den ausgefüllten Stimmzettel im Wahlraum in die Urne einwirft. Es fühlt sich gut und richtig an.

„Ihr Wahlraum ist nicht rollstuhlgerecht.“

Sven Fichtner ist in Stuttgart Mitglied im Beirat für Menschen mit Behinderung. Die Wahlbenachrichtigung, die er vor einigen Tagen per Post erhielt, weist darauf hin, dass der Wahlraum nicht barrierefrei ist. Was also tun, wenn er als Bürger im Rollstuhl seine Stimme im Wahlraum abgeben will? Er will sich nicht damit abgeben, „dass das halt so ist. Der Aktivist hat eine Erklärung verfasst, in den sozialen Medien veröffentlicht sowie an die Stadtverwaltung Stuttgart, den städtischen Beirat für Menschen mit Behinderungen sowie an uns geschickt. Seine Erklärung im Wortlaut:

„Jeder wahlberechtigte Mensch in unserer Stadt muss seine Stimme in Wahllokalen abgeben können.
Es ist eine tiefe Verletzung unserer Menschenrechte, wenn wir wegen fehlender Barrierefreiheit nicht an Wahlen in einem Wahllokal teilnehmen können. Teilhabe behinderter Menschen ist ein Menschenrecht, kein Akt der Fürsorge oder Gnade.
Wir fordern dieses Menschenrecht ein und wollen von der Politik Lösungen sehen. Viele von uns deren Behinderung angeboren ist, haben noch nie in ihrem Leben in einem Wahllokal an Wahlen teilgenommen. Für manche ist die Teilnahme an der Wahl per Briefwahl eine Wahlmöglichkeit die andere gar nicht haben, sie haben gar keine andere Möglichkeit und somit keine Wahl.
Die Teilhabe am politischen Leben ist schon in dieser Form in der wir laut Gesetz endlich mit der Abgabe unserer Stimme an unserer Demokratie teilnehmen können massiv beeinträchtigt und ist für uns eine nicht länger hinnehmbare Verletzung unserer Menschenrechte, denn die bisherige Möglichkeit an der Teilnahme von Wahlen in Stuttgart  entspricht nicht der UN – Behindertenrechtskonvention, hier ist die fehlende bauliche Barrierefreiheit nur eine von vielen Menschenrechtsverletzungen.“

Demokratie lebt vom Mitmachen. Machen wir mit – und gehen wählen. Jede Stimme zählt!

Infos zum barrierefreien Wählen gibt es unter https://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2021/informationen-waehler/barrierefreies-waehlen.html.

Brauchen wir den „Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen“?

1993 haben die Vereinten Nationen den 3. Dezember zum „Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen“ ausgerufen. An diesem Tag soll der Blick ganz bewusst auf die Lebenswirklichkeit der Menschen mit Behinderungen weltweit gelenkt werden. Hierzulande wurde seither das Grundgesetz und die Landesverfassung Baden-Württemberg ergänzt um den Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Gleichstellungsgesetze im Bund und im Land wurden beschlossen, Beauftragte für Menschen mit Behinderungen in den Stadt- und Landkreisen verpflichtend eingeführt und die UN-Behindertenrechtskonvention wurde als einfaches Bundesgesetz 2009 beschlossen. Ist damit alles paletti?

„Ja, wir brauchen einen solchen Aktionstag – noch!“

LVKM-Geschäftsführerin Jutta Pagel-Steidl zu Gast im Hörfunkstudio von SWR4 Baden-Württemberg: mit Maske und Abstand wie es in Coronazeiten üblich ist Am 3. Dezember war ich als Interviewpartnerin zu Gast im Hörfunkstudio von SWR4 Baden-Württemberg. Und natürlich ging es um diesen Aktionstag und die Frage, ob man einen solchen Tag noch braucht. Und schnell waren sich die Redakteurin und ich uns einig, dass wir den Tag noch brauchen. „Ist der Tag nicht auch ein Symbol dafür, was fehlt, nämlich die selbstverständliche Akzeptanz von Menschen mit Behinderungen in unserem Alltag.“ Und das musste ich – leider – so bestätigen. „Menschen mit Behinderungen werden von der Gesellschaft am Rande wahrgenommen, als eine Minderheit, die man beachtet oder nicht. Aber Menschen mit Behinderungen gehören mitten in die Gesellschaft. Es ist eine große Gruppe. Und die Vereinten Nationen haben diesen Aktionstag ausgerufen, damit viele darüber „stolpern“ und nachdenken. Und – so meine Hoffnung – dass es irgendwann mal dazu kommt, dass man diesen Aktionstag nicht mehr braucht.“

In Zeiten von Corona ist mein Eindruck, dass Inklusion gestern war und wir heute um Jahrzehnte in unserem Bemühen für eine selbstverständliche Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zurückgeworfen werden. Denn gerade in der Krise haben viele Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen den Eindruck, vergessen zu werden. Sie sind ja auch nicht laut, gehen auf die Straße und demonstrieren – weil sie den Alltag organisieren müssen, die Pflege und Betreuung sicherstellen, Home-Office und Home-Scooling unter einen Hut bringen müssen – und die so dringend benötigte Entlastung der Familien nahezu auf Null heruntergefahren ist. Die Familien sind auf sich allein gestellt – und dabei waren viele Familien schon vor Corona am Limit. Corona bremst aus. Die Familien leiden.

Meine Forderung: Menschen mit Behinderungen gehören dazu und dürfen nicht vergessen werden. Es braucht mehr Unterstützung für Menschen mit Behinderungen gerade auch in Coronazeiten. Und solange es nicht selbstverständlich ist, dass von Anfang an die besonderen Belange der Menschen mit Behinderungen und ihrer Familien mitgedacht wird, so lange braucht es auch noch Aktionstage wie den „Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung“.

Mehr Infos zum „Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen“ gibt es unter https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/301408/internationaler-tag-der-menschen-mit-behinderung

„Ja“ zur Maskenpflicht und den notwendigen Ausnahmen

Gesundheit ist ein hohes Gut. Das sagen derzeit alle. Für Menschen mit Behinderungen und ihre Familien ist das aber keine Floskel, sondern die Grundlage für das Leben überhaupt. Arztbesuche, Therapien, Krankenhausaufenthalte … das alles bestimmt den ganz normalen Alltag über Jahre und Jahrzehnte.

Angst vor Ansteckung mit dem Corona-Virus
Eine Frau mit Behinderung beschrieb in einer E-Mail an mich ihre Ängste: „Viren haben meine Nerven zerstört und mir die Lähmungen beschert. D.h., ich bin grundsätzlich ängstlich, was Viren ausgelöste Krankheiten anbetrifft. Ich halte mich aus dem Grund dem öffentlichen Leben momentan wirklich fern, so gut es geht. Das fällt mir nicht leicht, aber sowohl ich wie auch mein Mann gehören zur Risikogruppe. Ich weiß nicht, ob ich eine Corona-Infektion überleben würde. Deshalb fühle ich mich viel sicherer, wenn sowohl ich als auch meine Mitmenschen, die es können, einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Nur so kann ich überhaupt Krankengymnastik machen. Wir haben beide eine FFP 2 Maske an. (…) Ich möchte an alle appellieren, eine Maske zu tragen. Es ist für Leute wie mich wirklich sicherer. Meine Ärztin hat mir ein anderes Attest einfach telefonisch ausgestellt, eben dass ich zur Risikogruppe gehöre. Auch nicht hübsch ,aber es ist halt so. Deshalb die Bitte, auch uns Gefährdete miteinzubeziehen. Ansonsten hocke ich für die nächsten ein bis zwei Jahre daheim fest!“

Wir sagen „ja“ zur sog. Maskenpflicht …

… ohne Wenn und Aber. Täglich erreichen uns seit Einführung der Maskenpflicht (einfacher Mund-Nasen-Schutz) verzweifelte Rückmeldungen von Menschen mit Behinderungen und Angehörigen, denen man den Zugang zu Läden verweigert, wenn sie keine Maske tragen. Sie haben den Schwerbehindertenausweis oder ein ärztliches Attest dabei. Das interessiert vor Ort niemand. Es kommt auch vor, dass andere Kunden die Menschen mit Behinderungen angehen und beleidigen. Das ist eine Diskriminierung. Und das ist schlicht nicht akzeptabel. Am Freitag hat die Deutsche Presseagentur (dpa) in einem Bericht auch auf diesen Missstand aufmerksam gemacht. Die Beratungsstellen gegen Diskriminierung rufen zu mehr Verständnis für Menschen auf, die aus medizinischen oder sonstigen zwingenden Gründen keine Maske tragen können.

Auch wir fordern nachdrücklich, mehr über die Ausnahmen von der Maskenpflicht zu informieren. Deshalb haben wir uns wiederholt an die Landesregierung gewandt und um Klarstellung gebeten. Vor Pfingsten haben wir in einer Mail an die Covid-19-Lenkungsgruppe der Landesregierung auf die Dringlichkeit hingewiesen – und wurden vom Staatsministerium auf die Zuständigkeit des Ministeriums für Soziales und Integration verwiesen. Die Landesbehindertenbeauftragte unterstützt unser Anliegen.

Und – um das hier auch klar zu sagen – wir sagen „ja“ zur sog. Maskenpflicht und „nein“ zu den sog. „Maskenverweigerern“.