„Triage“ – Entscheidung über Leben und Tod

Endlich! Wir sind erleichtert! Heute hat das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss zur „Triage“ veröffentlicht und den Verfassungsbeschwerden der Menschen mit Behinderungen stattgegeben: „Der Gesetzgeber muss Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen für den Fall einer pandemiebedingt auftretenden Triage treffen.“

Der Begriff „Triage“ stammt aus der Militärmedizin aus Napoleons Zeiten. Das ist jetzt über 200 Jahre her. Im Kern geht es im Kriegs- oder Katastrophenfall abzuwägen, wer bei knappen Ressourcen die besten Aussichten auf Überleben hat. Und mit jeder neuen Welle in der Coronakrise füllen sich die Intensivstationen der Kliniken – und jeden Tag wächst die Angst behinderter Menschen, im Falle eines Falles nicht die notwendige Hilfe zu erhalten – weil kein Bett auf der Intensivstation für sie frei ist oder weil der letzte Beatmungsschlauch bereits vergeben ist. Angst fressen Seele auf … was wäre, wenn man im Fall der Fälle das Recht auf Leben abgesprochen bekäme aufgrund der eigenen Behinderung? Eine zweite Chance auf Leben gibt es nicht …

„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Das Bundesverfassungsgericht hat es sich nicht einfach gemacht und gründlich recherchiert. Und die Sorgen und Ängste der Menschen mit Behinderungen ernst genommen und geteilt. Allen Beteuerungen und Leitlinien zum Trotz besteht ein Risiko, in einer Situation knapper Ressourcen im Gesundheitswesen aufgrund der Behinderung benachteiligt zu werden. Das wäre ein klarer Verstoß gegen Artikel 3 Satz 3 Grundgesetz: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

„Behindert oder nicht behindert: jedes Leben ist gleich viel wert.“

Seit Monaten haben Menschen mit Behinderungen Angst, in der aktuellen Coronakrise ins Krankenhaus zu müssen – und womöglich aufgrund fehlender Ressourcen von dringend notwendiger Hilfe ausgeschlossen zu werden. Ich kann diese Angst, die durch den ganzen Körper kriecht, nachfühlen. Es ist dieses Gefühl der Ohnmacht, sich nicht schützen zu können. Ausgeliefert zu sein … Das hat das Bundesverfassungsgericht klar erkannt und einen wirksamen Diskriminierungsschutz im Gesundheitswesen gefordert und auf Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention verwiesen. Recht hat das Gericht!

Der Gesetzgeber muss handeln. Unverzüglich! Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf Schutz ihres Lebens – wie alle anderen auch!

Mehr dazu unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-109.html

Barrierefreies Wählen – einfach machen!

Noch gut fünf Wochen bis zur Bundestagswahl am 26. September 2021. Die Wahlbenachrichtigungen sind verschickt. Für viele Menschen mit Behinderungen ist es selbstverständlich, wählen zu gehen. Mitbestimmung ist für sie keine Nebensächlichkeit. Das Recht, wählen zu dürfen, haben sie sich gemeinsam mit den Selbsthilfeverbänden hart erkämpft. Keine Spur von Wahlmüdigkeit – im Gegenteil.

Demokratie braucht Inklusion!“

„Demokratie braucht Inklusion“, sagt Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Stimmt. Der Bundeswahlleiter weist vor der Bundestagswahl darauf hin, wie wichtig der barrierefreie Zugang zum Wahlraum besonders für Wahlberechtigte mit Mobilitätseinschränkung ist. Seine Stimme per Briefwahl abzugeben ist – gefühlt – nicht das Gleiche wie die Stimmabgabe im Wahlraum. Demokratie wird auf ganz besondere Weise erlebbar, wenn man als Wahlberechtigte den ausgefüllten Stimmzettel im Wahlraum in die Urne einwirft. Es fühlt sich gut und richtig an.

„Ihr Wahlraum ist nicht rollstuhlgerecht.“

Sven Fichtner ist in Stuttgart Mitglied im Beirat für Menschen mit Behinderung. Die Wahlbenachrichtigung, die er vor einigen Tagen per Post erhielt, weist darauf hin, dass der Wahlraum nicht barrierefrei ist. Was also tun, wenn er als Bürger im Rollstuhl seine Stimme im Wahlraum abgeben will? Er will sich nicht damit abgeben, „dass das halt so ist. Der Aktivist hat eine Erklärung verfasst, in den sozialen Medien veröffentlicht sowie an die Stadtverwaltung Stuttgart, den städtischen Beirat für Menschen mit Behinderungen sowie an uns geschickt. Seine Erklärung im Wortlaut:

„Jeder wahlberechtigte Mensch in unserer Stadt muss seine Stimme in Wahllokalen abgeben können.
Es ist eine tiefe Verletzung unserer Menschenrechte, wenn wir wegen fehlender Barrierefreiheit nicht an Wahlen in einem Wahllokal teilnehmen können. Teilhabe behinderter Menschen ist ein Menschenrecht, kein Akt der Fürsorge oder Gnade.
Wir fordern dieses Menschenrecht ein und wollen von der Politik Lösungen sehen. Viele von uns deren Behinderung angeboren ist, haben noch nie in ihrem Leben in einem Wahllokal an Wahlen teilgenommen. Für manche ist die Teilnahme an der Wahl per Briefwahl eine Wahlmöglichkeit die andere gar nicht haben, sie haben gar keine andere Möglichkeit und somit keine Wahl.
Die Teilhabe am politischen Leben ist schon in dieser Form in der wir laut Gesetz endlich mit der Abgabe unserer Stimme an unserer Demokratie teilnehmen können massiv beeinträchtigt und ist für uns eine nicht länger hinnehmbare Verletzung unserer Menschenrechte, denn die bisherige Möglichkeit an der Teilnahme von Wahlen in Stuttgart  entspricht nicht der UN – Behindertenrechtskonvention, hier ist die fehlende bauliche Barrierefreiheit nur eine von vielen Menschenrechtsverletzungen.“

Demokratie lebt vom Mitmachen. Machen wir mit – und gehen wählen. Jede Stimme zählt!

Infos zum barrierefreien Wählen gibt es unter https://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2021/informationen-waehler/barrierefreies-waehlen.html.

Wurden Menschen mit schweren Behinderungen beim Impfen einfach vergessen?

Eins vorneweg: wir alle gönnen jeder und jedem eine Impfung gegen Covid19. Denn jede Impfung bringt unsere Gesellschaft unserem gewohnten Alltag vor Corona einen Schritt näher. Doch immer mehr Menschen mit schweren Behinderungen fühlen sich bei der Verteilung der Impfberechtigung vergessen, verloren, verlassen. Der Frust steigt. Die Angst, zu erkranken, einen schweren Krankheitsverlauf zu haben und daran zu sterben ist groß. Nachdem inzwischen auch kerngesunde Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer impfberechtigt sind – und auch viele bereits ihren ersten Impftermin hatten – verstehen viele betroffenen Familien die Welt nicht mehr.

„Wie soll unsere 11 monatige Tochter mit Trisonomie 21 uns Eltern die Impfberechtigung erteilen?“

Nun sind zwei enge Kontaktpersonen von impfberechtigten Menschen nach der STIKO Stufe 2 und 3 impfberechtigt. Seit einer Woche gibt es dazu das entsprechende Formular, um die Impfberechtigung nachzuweisen. Doch die Formulierungen machen deutlich, dass hier niemand die Familien mit behinderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bedacht hatte. Der impfberechtigte Mensch kann max. zwei enge Kontaktpesonen benennen, die dann impfberechtigt sind. Jetzt rief die Mama einer 11 Monate alten Tochter mit Trisonomie 21 an, wie sie denn den Nachweis jetzt führen solle? Die Tochter könne ihr ja nicht die Bestätigung ausfüllen … Klar, die Eltern eines minderjährigen Kindes sind dessen gesetzliche Vertreter und können sich daher in dieser Rolle die Bescheinigung selbst ausstellen. Aber wie dieser Tatsache im Impfzentrum erklären? Wir raten den Eltern, Stammbuch, ärztliche Atteste, Schreiben der Krankenkassen usw. mitzunehmen. Was für eine Bürokratie …

Ungeklärt ist bislang auch, ob die Eltern behinderter Kinder, die normalerweise in einer besonderen Wohnform leben, aber die Wochenenden und Ferien bei den Eltern zuhause verbringen, impfberechtigt sind. Nach bisheriger Lesart der Corona-Impf-Verordnung und der Auslegung in Baden-Württemberg sind sie es nicht.

Völlig vergessen fühlen sich Menschen mit Behinderungen, die zuhause leben und im sog. Arbeitgebermodell ihre Pflege sicherstellen. Pflegekräfte, die bei einem Pflegedienst angestellt sind, sind impfberechtigt – im Unterschied zu den Pflegekräften, die bei einem Menschen mit Behinderung direkt angestellt sind. Das versteht niemand und lässt die Betroffenen verzweifeln. Am Dienstag meldete sich ein Betroffener bei uns und schilderte seine Not:

„Impftermin erhalten – und zwei Mal im Impfzentrum abgewiesen worden.“

„Ich bin Rollstuhlfahrer und als Säugling an schwerer Kinderlähmung erkrankt. Außerdem binich rund um die Uhr auf ein Atemgerät angewiesen.

Am 12 Januar sollte ich in M. geimpft werden. Am 11 Januar sollte ich nochmal anrufen, um den zweiten Termin festzulegen. Bei diesem Gespräch wurde ich wieder ausgeladen, da ich nicht impfberechtigt sei.

Am 2 März hatte ich erneut einen Impftermin im Impfzentrum in H. Ich war so erleichtert, jetzt endlich geimpft zu werden. Als ich dort ankam, wurden meine Unterlagen geprüft und ich wurde weitergeleitet an eine Ärztin, die mir sagte, dass ich nicht geimpft werde, da ich nicht berechtigt sei mit dem Impfstoff von Biotech geimpft zu werden. Ich zeigte ihr die Bestätigung aus der implizit drin stand, dass ich am 02.03.21 um 11.39 Uhr mit dem „Gebuchter Impfstoff: Corona-Impfstoff – Comirnaty (BioNTech)“ geimpft werden soll. Das interessiert sie nicht. Ich hätte gar nicht vom Callcenter die Bewilligung erhalten dürfen und ihr ist das Problem bekannt, aber sie dürfe mich nicht mit dem (BioNTech) impfen. Als ich das von ihr so kalt ins Gesicht geschleudert bekam, war es für mich als habe sie mir soeben mein Todesurteil ausgesprochen.

Ich sagte ihr das auch und bat sie mir dann eben den Impfstoff von AstraZeneca zu geben, damit ich mich jetzt nicht umsonst dem Risiko ausgesetzt habe, mich anzustecken. Denn ich lebe jetzt schon fast ein Jahr in Quarantäne und eben weil ich weiß, dass – wenn ich mich anstecke – dies mein Todesurteil bedeutet. Darauf entgegnete sie mir, sie hätten hier überhaupt kein Impfstoff von AstraZeneca. Ich merkte wie ich – trotz Beatmung – keine Luft mehr bekam und eine unsagbare Wut und Ohnmacht brach sich bahn.

Mein ganzes Leben – 61 Jahre lang – habe ich um meine Daseinsberechtigung und Eigenständigkeit gekämpft und viele Kämpfe ausgetragen und hier scheiterte ich. Ich habe das Impfzentrum als gebrochener Mann verlassen und den Glauben an unseren Staat, dem ich soviel zu verdanken habe, verloren. Bitte helfen Sie mir, ich weiß nicht mehr weiter!“

„Inklusion in der Krise?!“

Wer spricht in der Corona-Krise von Inklusion, also der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in der Gesellschaft? Fast niemand. Es scheint, dass sich derzeit nur Menschen mit Behinderungen, ihre Familien und deren Selbsthilfeverbände Gedanken machen, wie Inklusion in der Corona-Krise und danach gelebt werden kann. Das Miteinander bröckelt. Diese Erkenntnis tut weh.

Der Tübinger Oberbürgermeister schlug vor kurzem vor, dass die Zeit zwischen 9.30 und 11 Uhr für Senioren reserviert werden sollen, die diese dann zum Einkaufen nutzen sollen. Und er appellierte an die Senioren, freiwillig auf das Busfahren ganz zu verzichten, um sich und ihre Gesundheit zu schützen. Umgehend wies der Vorsitzende des Landesseniorenrates Baden-Württemberg diese Vorschläge zurück und kritisierte die Stigmatisierung älterer Menschen aufgrund des Lebensalters.

Es ist und bleibt eine Gratwanderung. Wie schützen wir unsere Gesundheit und wie können wir dennoch teilhaben? Die eine einzige Antwort darauf gibt es nicht. Wir wollen uns aber auch in der Corona-Krise nicht die Selbstbestimmung wieder nehmen lassen. Wir müssen auch selbst entscheiden können, was uns gut tut und was weniger. Der Gedanke, dass wieder eine Besuchseinschränkung kommt, macht Angst. Beschränkungen wie Kontaktverbote sind derzeit leider notwendig, um die Pandemie zu bekämpfen. Aber die Schutzmaßnahmen müssen angemessen sein. Und darüber brauchen wir eine Debatte.

Die Landesregierung richtet ein „Bürgerforum Corona“ mit rund 40 bis 50 zufällig ausgewählten Menschen ein. Als Arbeitsgrundlage dient eine Themenlandkarte. „Menschen mit Behinderungen“ oder „Inklusion“ finden sich bislang darauf nicht. Inklusion ist ein Menschenrecht, verankert in der UN-Behindertenrechtskonvention. Es liegt (wieder) an uns, uns einzumischen, dass Menschen mit Behinderung und ihr Anspruch auf Teilhabe nicht vergessen werden. Machen wir also mit! Bis zum 26. November 2020 können wir die Themenlandkarte noch kommentieren! Mehr dazu unter https://beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de/de/mitmachen/lp-16/buergerforum-corona/online-beteiligung/

„Wir müssen leider draußen bleiben.“

Menschen mit Behinderungen und ihre Familien wollen sich und andere vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus schützen. Daher akzeptieren sie auch die geltende Maskenpflicht in Läden. Und sie wollen nicht in den gleichen Topf geworfen werden mit den erklärten Maskengegnern.
Die Corona-Verordnung lässt in § 3 Absatz 2 Ausnahmen zu,
– wenn dies aus medizinischen oder sonstigen zwingenden Gründen unzumutbar ist,
– wenn es behinderungsbedingt nicht möglich ist.
Als Nachweis gilt der Schwerbehindertenausweis oder ein ärztliches Attest. Eigentlich. Bei uns steht das Telefon nicht still. Andere Betroffene, die vor der Türe des Ladens abgewiesen werden, schreiben E-Mails. Am Donnerstag hat die „Stuttgarter Zeitung“ und die „Südwest Presse“ erneut.

Spießrutenlauf beim Einkaufen

Emotionen kochen hoch. Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung oder eines anderen zwingenden Grund keine Maske tragen können, werden noch mehr ausgegrenzt, diskriminiert, verletzt, verstoßen, ihre Würde mit Füßen getreten. Das macht uns betroffen, wütend und traurig. Von Inklusion redet niemand mehr. Und auch nicht von der Bereitschaft, seinem Nächsten zu helfen, einfach so. Jeder Versuch, mal wieder die eigene Wohnung zu verlassen, selbst einzukaufen, wird zum Spießrutenlauf. „An den Pranger gestellt“ – ohne die Regeln verletzt zu haben.

Aber der Einzelhandel missachtet die Vorgaben und macht es sich einfach, rechtfertigt sich damit, dass man uns vor anderen Kunden schützen muss. Aber wer schützt uns vor diesem übergriffen Verhalten? Warum gibt es nicht Plakate am Eingang, die auf die Ausnahmen hinweisen? Warum werden wir Menschen mit Behinderung allein gelassen? Inklusion? Fehlanzeige!

„Wir müssen leider draußen bleiben.“

Ein Ehepaar (71/69), das aufgrund chronischer Erkrankungen von der Maskenpflicht nachweislich mit Attest befreit ist, kam mit dem Großeinkauf bis zur Kasse und wurde dort mit den Worten empfangen: „Ich darf Sie nicht abkassieren. Mein Chef sagte, dass ohne Maske nichts läuft.“ Und dann wurde auch noch die ärztliche Atteste weiteren Mitarbeitern gezeigt, so das Ehepaar. Nach einer unschönen Debatte durfte das Ehepaar dann „ausnahmsweise“ die Einkäufe bezahlen und den Laden verlassen. Solche und ähnliche Erlebnisse hören wir ständig.
Anscheinend sind wir Menschen mit Behinderungen und deren Familienangehörige Kundinnen und Kunden zweiter oder dritter Klasse. Aber wir sind viele wie der Blick in die Statistik zeigt. Und wir merken uns genau, wer uns im Handel willkommen heißt und wer nicht. So kaufen wir online ein (so der Shop barrierefrei ist) oder in den Läden, in denen den Kunden – unabhängig vom Geldbeutel, der Herkunft, dem Geschlecht – mit Respekt begegnet wird.

„Gibt es für uns keine „Lernbrücke“?

Das Kultusministerium bietet in den Sommerferien ein Lern- und Förderprogramm „Lernbrücken“ an. Da in den Wochen der Schulschließung nicht alle Schüler gleichermaßen mit „Home-Scooling“ erreicht werden konnten, haben insbesondere leistungsschwächere Schüler einen Nachholbedarf. Deshalb soll es in den Sommerferien freiwillig Lernangebote geben, um den Unterrichtsstoff nachzuholen. Zwei Wochen sollen daher „Lernbrücken“ gebaut werden: Die Zielgruppe wird wie folgt beschrieben: „Das Programm richtet sich schwerpunktmäßig an Schülerinnen und Schüler der Grundschulen, der Sekundarstufe I der weiterführenden Schulen, der Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (mit den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache, emotionale und soziale Entwicklung) sowie der Berufsfachschulen, Berufskollegs, Beruflichen Gymnasien, die aufgrund der Schulschließungen seit Mitte März 2020 schwerer als andere erreicht werden konnten oder aus organisatorischen Gründen auch länger als andere Schülergruppen nur von zu Hause aus lernen konnten.“

„… auch wir haben ein Recht auf Bildung!“

Völlig konsterniert meldeten sich bei uns Eltern, deren Kinder mit Behinderung ein SBBZ mit den Schwerpunkten körperliche und motorische Entwicklung oder geistige Entwicklung besuchen. „Warum sollen unsere Kinder ausgeschlossen werden?“ „Das ist doch eine Form von Diskriminierung.“ „Unsere Kinder hatten es doch besonders schwer in der Krise. Angebote erreichte sie nicht immer. Nicht in allen Familien konnten die Kinder so gefördert werden wie sie es aufgrund ihres Förderbedarfs benötigt hatten.“ „Haben unsere Kinder nicht auch das gleiche Recht auf Bildung wie alle anderen auch?“

Zugegeben, eine „Lernbrücke“ für die Kinder mit schweren und mehrfachen Behinderungen zu bauen, ist organisatorisch eine größere Herausforderung als für andere Schülergruppen. Da geht es auch um Fragen der Schülerbeförderung, Hygienekonzepte, Pflege, und, und, und …. aber brauchen wir nicht in Zeiten wie diese auch kreative Lösungen, die eben noch nicht im Standardnachschlagewerk abgedruckt sind.

Unser Appell:
Lasst uns gemeinsam nach Wegen suchen und „Lernbrücken“ für alle bauen!

Unerhört, unsichtbar … wie lange noch?

Corona lässt uns nicht los. Das Virus hat uns – allen Lockerungen zum Trotz – noch voll im Griff. Wie lange noch?

Wie lange geht das alles noch? Wann kann mein Kind, das in einem Wohnheim lebt, das Wochenende endlich wieder bei uns Eltern daheim verbringen?

„Wir erfahren am eigenen Leibe Diskriminierungen“, schreibt eine Mutter. Die Tochter ist Autistin – und sie hat eine Befreiung von der sog. Maskenpflicht, dem Tragen eines einfachen Mund-Nasen-Schutzes. Ein großes Einrichtungshaus hat die Familie mit dem Kind ohne Maske nicht reingelassen. Im Urlaub war es eine öffentliche Kultureinrichtungen. Die Familie wehrt sich, schreibt nette Mails, stellt Sachverhalte klar. Die Mutter endet ihr Schreiben an uns mit dem Satz: „Wir haben Angst, dass wir bald in keine Einrichtung – ob privat oder öffentlich – hineinkommen. Schlimm, dass wir alle das miterleben müssen.“

Wie lange noch? Wie wägt man richtig ab zwischen Infektionsschutz und Isolation? Diese Woche sagte ein Mann im Rollstuhl zu mir: „An Ostern waren wir noch alle gleich. Alle – Menschen mit und ohne Behinderung – waren zuhause, hielten Abstand, hatten Kontakte nur übers Telefon, Internet oder Balkon. Und jetzt? Jetzt sind wir Menschen mit Behinderungen sowie alte pflegebedürftige Menschen diejenigen, die möglichst nicht raus sollen. Jetzt sind wir es noch allein, die immer noch ziemlich ausgegrenzt sind. Unerhört, unsichtbar … wie lange noch?“

„Ja“ zur Maskenpflicht und den notwendigen Ausnahmen

Gesundheit ist ein hohes Gut. Das sagen derzeit alle. Für Menschen mit Behinderungen und ihre Familien ist das aber keine Floskel, sondern die Grundlage für das Leben überhaupt. Arztbesuche, Therapien, Krankenhausaufenthalte … das alles bestimmt den ganz normalen Alltag über Jahre und Jahrzehnte.

Angst vor Ansteckung mit dem Corona-Virus
Eine Frau mit Behinderung beschrieb in einer E-Mail an mich ihre Ängste: „Viren haben meine Nerven zerstört und mir die Lähmungen beschert. D.h., ich bin grundsätzlich ängstlich, was Viren ausgelöste Krankheiten anbetrifft. Ich halte mich aus dem Grund dem öffentlichen Leben momentan wirklich fern, so gut es geht. Das fällt mir nicht leicht, aber sowohl ich wie auch mein Mann gehören zur Risikogruppe. Ich weiß nicht, ob ich eine Corona-Infektion überleben würde. Deshalb fühle ich mich viel sicherer, wenn sowohl ich als auch meine Mitmenschen, die es können, einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Nur so kann ich überhaupt Krankengymnastik machen. Wir haben beide eine FFP 2 Maske an. (…) Ich möchte an alle appellieren, eine Maske zu tragen. Es ist für Leute wie mich wirklich sicherer. Meine Ärztin hat mir ein anderes Attest einfach telefonisch ausgestellt, eben dass ich zur Risikogruppe gehöre. Auch nicht hübsch ,aber es ist halt so. Deshalb die Bitte, auch uns Gefährdete miteinzubeziehen. Ansonsten hocke ich für die nächsten ein bis zwei Jahre daheim fest!“

Wir sagen „ja“ zur sog. Maskenpflicht …

… ohne Wenn und Aber. Täglich erreichen uns seit Einführung der Maskenpflicht (einfacher Mund-Nasen-Schutz) verzweifelte Rückmeldungen von Menschen mit Behinderungen und Angehörigen, denen man den Zugang zu Läden verweigert, wenn sie keine Maske tragen. Sie haben den Schwerbehindertenausweis oder ein ärztliches Attest dabei. Das interessiert vor Ort niemand. Es kommt auch vor, dass andere Kunden die Menschen mit Behinderungen angehen und beleidigen. Das ist eine Diskriminierung. Und das ist schlicht nicht akzeptabel. Am Freitag hat die Deutsche Presseagentur (dpa) in einem Bericht auch auf diesen Missstand aufmerksam gemacht. Die Beratungsstellen gegen Diskriminierung rufen zu mehr Verständnis für Menschen auf, die aus medizinischen oder sonstigen zwingenden Gründen keine Maske tragen können.

Auch wir fordern nachdrücklich, mehr über die Ausnahmen von der Maskenpflicht zu informieren. Deshalb haben wir uns wiederholt an die Landesregierung gewandt und um Klarstellung gebeten. Vor Pfingsten haben wir in einer Mail an die Covid-19-Lenkungsgruppe der Landesregierung auf die Dringlichkeit hingewiesen – und wurden vom Staatsministerium auf die Zuständigkeit des Ministeriums für Soziales und Integration verwiesen. Die Landesbehindertenbeauftragte unterstützt unser Anliegen.

Und – um das hier auch klar zu sagen – wir sagen „ja“ zur sog. Maskenpflicht und „nein“ zu den sog. „Maskenverweigerern“.

… 1,2,3 – raus …

Nein, diese Woche ist mir mehr zum Heulen denn zum Lachen. Niemand redet derzeit, wie Menschen mit und ohne Behinderung in einer inklusiven Gesellschaft gemeinsam gut durch die Corona-Krise kommen. Und selbst in mir, die ich mich gerne scherzhaft „edel-behindert“ bezeichne, spüre ich – erstmals seit meinen Kindertagen in den 1960er-Jahren – wie das Gefühl der Hilflosigkeit, des Ausgegrenzt-Werdens aufgrund einer Behinderung zurückkommt. Und dabei wollen wir nur eins – dazuzugehören. Doch wer sich nicht anpassen kann, fliegt derzeit 1,2,3 – raus. Einfach so …


Stell Dir vor, es gibt eine Ausnahme von der Maskenpflicht – und (kaum) einer kennt sie!


Das Telefon stand diese Woche nicht still. Da ist Frau A., die ein ärztliches Attest hat, das sie von der Maskenpflicht befreit. Sie wird von der Security am Eingang eines großen Kaufhauses in Stuttgart am Betreten verhindert. Das Vorzeigen des Attests half nicht weiter. Und auch der Ruf nach der Geschäftsleitung änderte nichts an der Botschaft: „Sie kommen hier nicht rein.“ Und da ist Frau B., Mutter einer schwerstbehinderten Tochter, die keine Maske tragen kann. Sie musste für das ärztliche Attest 10 Euro Gebühren zahlen. Und wird von ihren Mitmenschen unterwegs schief angeschaut, dass sie sich nicht mehr traut, mit der Tochter unterwegs zu sein. Statt mit dem Bus fahren sie wieder mit dem eigenen Auto zum Arzt. Diese Blicke tun weh, verletzen, diskriminieren. Auch kenne diese Blicke aus meiner Kindheit …. es fühlt sich so schlimm an. Und das Schlimmste: man ist in diesem Moment so ausgeliefert, kann sich nicht wehren.

Hinweisschild für Läden zur Maskenpflicht – Ausnahmen werden nicht erwähnt …

Die Corona-Verordnung Baden-Württemberg sieht aber Ausnahmen von der „Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen“ vor. In § 3 Absatz 1 Satz der Verordnung heißt es wörtlich: „wenn dies nicht aus medizinischen Gründen oder aus sonstigen zwingenden Gründen unzumutbar ist oder wenn nicht ein anderweitiger mindestens gleichwertiger baulicher Schutz besteht.“ Soweit, so gut. Doch die Werbekampagne der Landesregierung erwähnt die Ausnahmen nicht mal in der Fußnote. Wie also schaffen wir es, dass die Ausnahmeregelung nicht nur die Menschen mit Behinderungen kennen, die auf die Befreiung von der Maskenpflicht angewiesen sind?



Stell Dir vor, Du sitzt im Rollstuhl und kannst keinen Einkaufswagen benutzen!


Eine andere Frau, ein anderer Ort. Frau X lebt in der eigenen Wohnung und ist mit einem Elektro-Rollstuhl unterwegs. Wie gewohnt wollte sie in einem ihr bekannten Drogeriemarkt einkaufen. Am Eingang wurde sie von der Security aufgefordert, einen Einkaufswagen zu nutzen. Das funktioniert aber nicht mit Elektro-Rollstuhl. Eine Mitarbeiterin des Drogeriemarktes kam dazu, entschuldigte sich ein bisschen, blieb aber dabei, dass sie ohne Einkaufswagen nicht in den Laden könne. „Es ist halt so.“ Eine andere Kundin kam zur Hilfe und besorgte die gewünschten Artikel, während Frau X. im Rollstuhl draußen warten musste. Selbstbestimmung? Es ist so frustrierend, diskriminierend.

Beide Bespiele sind typisch. Und sie dürfen so nicht passieren. In beiden Beispielen liegt ein Verstoß gegen das Antidiskriminierungsgesetz (AGG) vor. Die neutrale Regelung (Masken- bzw. Einkaufswagenplicht zum Senken des Infektionsrisikos) als nicht sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig zu bewerten ist (§3 Absatz 2 AGG). Unverhältnismäßig ist, wenn es keine Ausnahme in begründeten Einzelfällen zugelassen wird. Durch eine solche Ausnahme würde das Infektionsrisiko auch allenfalls in einer zu vernachlässigenden Weise erhöht werden. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sammelt solche Beispiele, die – leider – keine Einzelfälle sind.

Und die Moral von der Geschichte? Auch wenn es schwer fällt, wehren Sie sich gegen Diskriminierung im Alltag aufgrund einer Behinderung! Sie sind nicht allein! Selbsthilfe tut gut. Rufen Sie an, schreiben Sie uns! Gemeinsam sind wir stark!