Europäischer Gerichtshof stärkt Eltern behinderter Kinder am Arbeitsplatz

„Gut so!“ – war unsere erste Reaktion als wir das Urteil hörten. Kinder und Beruf unter einen Hut zu bringen, ist eine Herausforderung. Und die Herausforderung ist noch größer, wenn es sich um ein Kind mit Behinderung handelt. Am 11. September 2025 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Klage einer berufstätigen Mutter eines behinderten Kindes aus Italien entschieden. Das Urteil ist wegweisend auch für berufstätige Mütter und Väter in Deutschland. Und – das ist gut so!

Der Tenor des Urteils vom 11. September 2025 (Rs. C‑38/24, Bervidi): Der Schutz der Rechte behinderter Personen vor indirekter Diskriminierung erstreckt sich auf Eltern behinderter Kinder. Die Eltern haben jetzt einen eigenen Schutz vor Diskriminierung. Die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen sind so anzupassen, dass diese Eltern sich ohne die Gefahr einer mittelbaren Diskriminierung um ihr Kind kümmern können.“ Arbeitgeber sind verpflichtet, „angemessene Vorkehrungen“ zu treffen.

Pflegende Mütter und Väter erleben den Spagat. Jonglieren mit mehren Bällen ist ihr Alltag. Zuhause der Alltag als pflegende Angehörige, der ständig anders verläuft. Am Arbeitsplatz erwarten Arbeitgeber und Kollegen, dass alles reibungslos läuft und man immer voll einsatzbereit ist. Einfach geht anders. Regelmäßig berichten uns berufstätige Mütter und Väter behinderter Kinder, dass ihr Arbeitgeber wenig oder kaum Rücksicht auf die Sorgearbeit für ihre behinderte Kinder nimmt: das reicht von den Feslegen von Teamsitzungen zu Zeiten, an denen die behinderten Kinder zuhause betreut werden müssen und geht bis hin zu Aufforderungen, die Berufstätigkeit einzuschränken oder ganz aufzugeben. Die Folge: vor allem berufstätige pflegende Mütter geben unfreiwillig dem Druck der Arbeitgeber nach und schränken notgedrungen ihre Berufstätigkeit stark ein oder gegen sie gar ganz auf. Dass sie damit Gefahr laufen, im Alter in eine Armutsfalle zu laufen, wird vielfach mit einem Achselzucken vom Tisch gewischt.

Endlich hat das höchste europäische Gericht Klartext gesprochen. Arbeitgeber sind in der Verantwortung, ein entsprechendes Arbeitsumfeld anzubieten, dass Job und Pflege vereinbar sind. Aus eigener Erfahrung wissen wir: Mütter und Väter behinderter Kinder sind hoch motiviert, arbeiten effizient und bringen Sichtweisen in ein Team ein, die unverzichtbar sind. Ein echter Mehrwert für alle – man muss es nur wollen!

Was bedeutet die Coronakrise für pflegende Angehörige behinderter Kinder?

Die Coronakrise hat die Familien hart getroffen. Die Angst, dass sich die Kinder mit schweren Behinderungen mit dem tückischen Virus anstecken könnten. Der Wegfall der Tagesstruktur, der Wegfall der Entlastungsangebote.

Der gut durchstrukturierte Alltag kommt ins Rutschen. Nichts und niemand hält ihn auf. Die ganze Wucht landet – meist – auf dem Rücken der pflegenden Mütter. Rund um die Uhr kümmern sie sich. Unverändert hoch – oder noch höher – ist die Bürokratie. Antrag stellen bei der Eingliederungshilfe, Anträge für Windeln, Therapie, Hilfsmittel. Warten, bis der Bescheid kommt. Oder die Ablehnung.

Zusätzlich kommen noch die sich laufend veränderten Coronaregeln dazu. Was ist zu tun, wenn der Mund-Nasen-Schutz nicht getragen werden kann? Kann mein Kind trotzdem zum Friseur? Wenn die Therapie ausfällt, was bedeutet das? Pflegende Angehörige behinderter Kinder sind am Ende. Der Platz in der Kurzzeiteinrichtung ist gebucht. Aber ob es dann tatsächlich klappt, wissen die Angehörigen erst mit Gewissheit, wenn sie ihr Kind in der Einrichtung den Mitarbeitern dort übergeben. Die Sorge bleibt … Alltag 2021.

Die pflegenden Angehörigen und ihr Alltag ist unsichtbar. Gut, dass die dpa (Deutsche Presseagentur) nun den Blick auf den Alltag pflegenden Müttern gelenkt hat. Lesen Sie selbst unter https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.coronavirus-was-die-pandemie-fuer-menschen-mit-behinderung-heisst.04132f47-8ac1-4089-8ccc-1602e5312965.html