Archiv Mai 2020

Herzlichen Glückwunsch Grundgesetz!

Unsere Verfassung, das Grundgesetz, macht auch in der Corona-Krise keine Pause. Und das ist gut so! Heute ist der „Tag des Grundgesetzes“. Es wurde am 23. Mai 1949 „geboren“. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben damit die Basis für unsere Demokratie und für unser Zusammenleben gelegt. „Die Würde des Menschen ist unantastbar,“ heißt es in Artikel 1. Im Alltag ringen wir ununterbrochen darum, wie dieses Grundrecht für uns alle mit Leben gefüllt werden kann. Einfach ist es nie.

„Pausentaste für ein selbst bestimmt Leben.“

Um die Gesundheit – also unser Recht auf körperliche Unversehrtheit – zu schützen, leben wir alle derzeit mit einer nicht unerheblichen Einschränkung unserer Grundrechte. Sich einfach so mit Freunden und Familie zu treffen, geht nicht. Kontaktverbot, Abstand halten – für die Gesundheit. Für Menschen mit Behinderungen sind diese Einschränkungen besonders hart. „Ich fühle mich eingesperrt“, sagte diese Woche eine Frau zu mir. Sie lebt in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft. „Ich darf nicht selber einkaufen gehen, damit ich den Scheiß-Virus nicht kriege, nicht krank werde und auch niemand anstecken kann. Und meine Familie, meine Freunde kann ich auch nicht treffen. Per Videotelefonie Kontakt halten, funktioniert auch nicht. Meine Eltern sind schon sehr alt und sie haben keinen Computer oder ein Smartphone. Und ich habe zwar ein Handy, aber ich brauche Hilfe, um es zu nutzen. Telefonieren geht schon, aber ich will meine Freunde und meine Familie mal wieder sehen. Und niemand kann mir sagen, wie lange das noch geht. Sag mir doch einfach, wann ich wieder wie in meinen normalen Alltag zurück darf. Mir reicht es.“

„Demokratie braucht Inklusion. Und Inklusion braucht Barrierefreiheit.“

So wie ihr geht es Vielen. In der Corona-Krise müssen wir alle Abstand halten. Immer mehr Menschen mit Behinderungen sind ungeduldig, fragen bei uns in der Geschäftsstelle nach. Aktuelle barrierefreie Informationen über die Corona-Krise fehlen. Fast jede Woche gibt es neue Corona-Verordnungen. Da geht der Überblick schon mal verloren. Was gilt für wen ab wann und wo? Da schwirrt einem der Kopf. Wie war das jetzt? Auch ich komme mir ab und zu vor, wie Hänsel und Gretel im Wald. Ich tapse aber ab und zu auch etwas orientierungslos durch den Paragrafendschungel, lese die vielen Texte, um sie dann Ratsuchenden zu erklären. Es wäre so wichtig, wenn es diese komplizierten Texte auch aktuell als barrierefreie Version da wäre – und war direkt von der Landesregierung, die die Regeln schreibt. Doch die aktuellen Verordnungen gibt es nicht in Leichter Sprache. Und auch die vielen Fragen und Antworten (FAQ) auch nicht. Ganz anders sieht es in Bayern aus. Dort gibt es sämtliche Neuerungen, die in Pressekonferenzen vorgestellt werden, in Leichter Sprache. Davon können wir in Baden-Württemberg noch immer nur träumen. Vor zwei Monaten hatten wir in einem Brief an die Landesregierung appelliert, barrierefreie Informationen zur Corona-Krise aktuell bereitzustellen, denn Demokratie braucht Inklusion. Und Inklusion braucht Barrierefreiheit. Eine Antwort auf unseren Brief haben wir noch nicht. Aber immerhin gibt es seit dieser Woche ein Erklärvideo zu Regeln zum Schutz vor dem Corona-Virus in Leichter Sprache und mit Untertitel. Ein Anfang ist gemacht …
https://sozialministerium.baden-wuerttemberg.de/de/service/media/mid/regeln-zum-schutz-vor-dem-coronavirus-in-leichter-sprache/


„Internationaler Tag der Familie“: Familien am Limit – unsichtbar

Heute ist der „Internationationale Tag der Familie“. Ein Grund mehr, nochmals einen besonderen Blick auf die Familien mit behinderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu werfen. Seit zwei Monaten sind sie mit der Betreuung ihrer Kinder allein zuhause. Die Corona-Krise hat sie in unvorstellbarem Maße kalt erwischt. Die Familien waren davor schon vielfach am Limit – und sind es jetzt noch umso mehr. Und wo ist das Licht am Ende des Tunnels?

Viele Familien, vor allem Mütter, machen ihrem Ärger Luft. Sie halten es kaum noch aus. Sie wenden sich an uns per E-Mail oder auch telefonisch. Stellvertretend zitiere ich aus einer Mail:


„Das ständige Kämpfen macht müde.“


„Das ständige Kämpfen macht müde… komisch, dass Eltern mit gesunden Kindern nicht kämpfen müssen. Da gibt es Kernzeitbetreuung, viele Ferienangebote, bessere Notbetreuung etc. komisch, dass das bei unseren Kindern nicht selbstverständlich ist. Es sollte gerade andersherum sein. Ich bin das ständige Betteln leid, habe jetzt mehrmals in der Schule angerufen und um einen Notplatz gebeten, aber wenn kein Personal zur Verfügung steht, geht’s halt nicht…“


Sie trifft das Problem auf den Punkt. Diese Ungleichbehandlung von nicht behinderten und behinderten Kindern muss endlich ein Ende haben!

Die Mutter, die ich gerade zitiert habe, hat zwei Kinder, von denen eines schwer behindert ist. Für den nicht behinderten kleinen Bruder hat jetzt der Regelkindergarten einen Notplatz angeboten, weil man dort die schwierige Familienlage erkannt hat. Mit Recht fragt die Mutter, wieso sie für ihr schwer behindertes Kind keine Notbetreuung erhält. Leider hat sich der Schulkindergarten in öffentlicher Trägerschaft – aus meiner Sicht – „weggeduckt“. Und leider ist das kein Einzelfall.

Es sind so unglaublich viele Mütter, die sich in diesen Tagen an uns wenden. Und das ist sicher nur die Spitze des Eisbergs. Unsere Mitgliedsfamilien sind gerade in der Corona-Krise noch unsichtbarer als sonst. Das muss sich ändern. Und der beste Zeitpunkt, dies zu ändern ist heute, am „Internationalen Tag der Familie!“

… 1,2,3 – raus …

Nein, diese Woche ist mir mehr zum Heulen denn zum Lachen. Niemand redet derzeit, wie Menschen mit und ohne Behinderung in einer inklusiven Gesellschaft gemeinsam gut durch die Corona-Krise kommen. Und selbst in mir, die ich mich gerne scherzhaft „edel-behindert“ bezeichne, spüre ich – erstmals seit meinen Kindertagen in den 1960er-Jahren – wie das Gefühl der Hilflosigkeit, des Ausgegrenzt-Werdens aufgrund einer Behinderung zurückkommt. Und dabei wollen wir nur eins – dazuzugehören. Doch wer sich nicht anpassen kann, fliegt derzeit 1,2,3 – raus. Einfach so …


Stell Dir vor, es gibt eine Ausnahme von der Maskenpflicht – und (kaum) einer kennt sie!


Das Telefon stand diese Woche nicht still. Da ist Frau A., die ein ärztliches Attest hat, das sie von der Maskenpflicht befreit. Sie wird von der Security am Eingang eines großen Kaufhauses in Stuttgart am Betreten verhindert. Das Vorzeigen des Attests half nicht weiter. Und auch der Ruf nach der Geschäftsleitung änderte nichts an der Botschaft: „Sie kommen hier nicht rein.“ Und da ist Frau B., Mutter einer schwerstbehinderten Tochter, die keine Maske tragen kann. Sie musste für das ärztliche Attest 10 Euro Gebühren zahlen. Und wird von ihren Mitmenschen unterwegs schief angeschaut, dass sie sich nicht mehr traut, mit der Tochter unterwegs zu sein. Statt mit dem Bus fahren sie wieder mit dem eigenen Auto zum Arzt. Diese Blicke tun weh, verletzen, diskriminieren. Auch kenne diese Blicke aus meiner Kindheit …. es fühlt sich so schlimm an. Und das Schlimmste: man ist in diesem Moment so ausgeliefert, kann sich nicht wehren.

Hinweisschild für Läden zur Maskenpflicht – Ausnahmen werden nicht erwähnt …

Die Corona-Verordnung Baden-Württemberg sieht aber Ausnahmen von der „Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen“ vor. In § 3 Absatz 1 Satz der Verordnung heißt es wörtlich: „wenn dies nicht aus medizinischen Gründen oder aus sonstigen zwingenden Gründen unzumutbar ist oder wenn nicht ein anderweitiger mindestens gleichwertiger baulicher Schutz besteht.“ Soweit, so gut. Doch die Werbekampagne der Landesregierung erwähnt die Ausnahmen nicht mal in der Fußnote. Wie also schaffen wir es, dass die Ausnahmeregelung nicht nur die Menschen mit Behinderungen kennen, die auf die Befreiung von der Maskenpflicht angewiesen sind?



Stell Dir vor, Du sitzt im Rollstuhl und kannst keinen Einkaufswagen benutzen!


Eine andere Frau, ein anderer Ort. Frau X lebt in der eigenen Wohnung und ist mit einem Elektro-Rollstuhl unterwegs. Wie gewohnt wollte sie in einem ihr bekannten Drogeriemarkt einkaufen. Am Eingang wurde sie von der Security aufgefordert, einen Einkaufswagen zu nutzen. Das funktioniert aber nicht mit Elektro-Rollstuhl. Eine Mitarbeiterin des Drogeriemarktes kam dazu, entschuldigte sich ein bisschen, blieb aber dabei, dass sie ohne Einkaufswagen nicht in den Laden könne. „Es ist halt so.“ Eine andere Kundin kam zur Hilfe und besorgte die gewünschten Artikel, während Frau X. im Rollstuhl draußen warten musste. Selbstbestimmung? Es ist so frustrierend, diskriminierend.

Beide Bespiele sind typisch. Und sie dürfen so nicht passieren. In beiden Beispielen liegt ein Verstoß gegen das Antidiskriminierungsgesetz (AGG) vor. Die neutrale Regelung (Masken- bzw. Einkaufswagenplicht zum Senken des Infektionsrisikos) als nicht sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig zu bewerten ist (§3 Absatz 2 AGG). Unverhältnismäßig ist, wenn es keine Ausnahme in begründeten Einzelfällen zugelassen wird. Durch eine solche Ausnahme würde das Infektionsrisiko auch allenfalls in einer zu vernachlässigenden Weise erhöht werden. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sammelt solche Beispiele, die – leider – keine Einzelfälle sind.

Und die Moral von der Geschichte? Auch wenn es schwer fällt, wehren Sie sich gegen Diskriminierung im Alltag aufgrund einer Behinderung! Sie sind nicht allein! Selbsthilfe tut gut. Rufen Sie an, schreiben Sie uns! Gemeinsam sind wir stark!

Barrierefreiheit!? – Völlig überwertet?

Jede Barriere ist eine zu viel.“ Vor einigen Jahren hatte die AKTION MENSCH den Aktionstag zum Europäischen Gleichstellungstag von Menschen mit Behinderungen (5. Mai) unter dieses Motto gestellt. Das war gut so. Inklusion ohne eine umfassende Barrierefreiheit geht nicht. Das Recht auf Zugänglichkeit ist auch ein zentrales Thema in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Barrierefreiheit ist auch weit mehr als abgesenkte Bordsteine, Rampe und Aufzug. Doch wenn ich auf diese Woche zurückblicke, wird Barrierefreiheit von Vielen als „nice to have“ – also auf gut Schwäbisch als „muss nedd unbedingt sein“, also ein Beiwerk, eine Nebensache, etwas, das keine Funktion oder Verbesserung hat, also leicht verzichtbar und halt nur nett. Ist Barrierefreiheit also völlig überbewertet? Nein, natürlich nicht!!!

„Demokratie braucht Inklusion und Barrierefreiheit.“

In der aktuellen Corona-Krise sind alle online. Wer nicht digital unterwegs ist, ist außen vor. Doch wer denkt da gerade an die Menschen, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht ohne Weiteres digital unterwegs sein können? Oder eben dabei Unterstützung brauchen? Oder einfach nur darauf angewiesen sind, dass die digitalen Lösungen – vom Videokonferenztool bis zur Unterhaltungs-App und dem Antragsformular für eine Dienstleistung einer Behörde oder dem Bestellformular beim Online-Shopping – von Anfang an barrierefrei geplant und umgesetzt sind.
Am Donnerstag hat der Landtag einen Gesetzentwurf beschlossen, der Gemeinden und Landkreisen Gremiensitzungen in Form von Videokonferenzen durchzuführen. Gerade in Zeiten von Corona ist es richtig, Lösungen für einen vorbeugenden Gesundheitsschutz zu suchen. Doch niemand hat sich darüber Gedanken gemacht, ob tatsächlich nur Videokonferenztools zum Einsatz kommen, die barrierefrei nutzbar sind. Interessierte Bürgerinnen und Bürger, die die öffentliche Sitzung verfolgen wollen, müssen dazu „in einen öffentlich zugänglichen Raum“ gehen, in den die Gremiensitzung übertragen wird. Und der muss nicht barrierefrei sein. Das Wort „barrierefrei“ taucht im Gesetz und der Begründung gar nicht auf. Weder die Landesbehindertenbeauftragte noch der Landesbehindertenbeirat noch die Selbsthilfeverbände von Menschen mit Behinderungen wurden im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens in irgendeiner Weise beteiligt. Wir haben zufällig davon erfahren – und dann ungefragt uns eingemischt, nachzulesen unter https://www.lv-koerperbehinderte-bw.de/pdf/lvkmbw-gemO-42020.pdf

Anderes Beispiel: muss Händedesinfektion barrierefrei sein?!

Zugegeben, es ist toll, wie kreativ schwäbische Tüftler sind. Diese Woche las ich im Lokalteil meiner Tageszeitung, dass eine Firma einen Desinfektionsspender entwickelt hat, der sich mit dem Fuß bedienen lässt. Normalerweise baut die Firma Einrichtungen und Bewässerungssysteme für Gewächshäuser. Mitarbeiter haben sich Gedanken gemacht, wie sie sinnvoll ihre Gemeinde unterstützen können –und haben innerhalb von 10 Tagen den kontaktlosen Desinfektionsspender entwickelt, den man überall aufstellen kann. Ein Fußtritt löst einen Federmechanismus aus, der die Ausgabe des Händedesinfektionsmittels auslöst. Man muss nur die Hand darunter halten. Eine tolle Idee, keine Frage. Und die Gemeinde hat sofort eine größere Menge bestellt – für das Rathaus, die Schulen, und die Kindertagesstätten. Alle sind begeistert Wirklich alle? Wir fragen uns, wie Menschen im Rollstuhl oder mit Rollator dem Ding einen Fußtritt geben können? Und niemand fragt sich, wie blinde / sehbehinderte Menschen den Desinfektionsspender nutzen können. Warum nur wird Barrierefreiheit noch immer nur als nettes Beiwerk und nicht als unverzichtbarer Bestandteil unseres Alltags verstanden? Das bewegt mich, das bewegt uns im Verband sehr.

„Barrierefreiheit muss sein.“ Barrierefreiheit ist kein „nice to have“.

… aber bitte mit Abstand …

Ansteckung vermeiden „Wir halten zusammen. Auch mit Abstand.“ Die Landesregierung Baden-Württemberg wirbt mit diesem Motto in der aktuellen Coronakrise. Zusammenhalten zählt für uns als Selbsthilfeverband zur Grund-DNA, denn es waren in den 1960er Jahren die Eltern körperbehinderter Kinder, die zusammengehalten haben, sich gegenseitig Mut gemacht und unterstützt haben. Sie haben Ortsvereine und unseren Landesverband gegründet. Warum? Ganz einfach: weil sich die Gesellschaft damals nicht um die Familien mit behinderten Kindern gekümmert hat. Sie waren allein und fühlten sich allein gelassen.
Seit damals hat sich vieles verändert, verbessert. Eigentlich. Doch in der aktuellen Coronakrise kommen bei manchen Erinnerungen an die Gründerzeit auf. Familien mit behinderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die derzeit Abstand halten und rund um die Uhr zuhause sind, Beruf, Haushalt, Pflege, Betreuung und vieles mehr organisieren, sind nicht nur gefordert. Nein, sie sind auch überfordert. Und sie sind leise, viel zu leise. Sie sind so angespannt im Alltag, dass sie kaum die Kraft haben, laut ihren Ärger, ihre Verzweiflung, ihren Hilferuf zu rufen. Sie hoffen auf Lockerungen, auf die Öffnung von Schulkindergarten, Schulen (SBBZ), Tagesbetreuung, gruppenbezogene Entlastungsangebote. Und natürlich wollen die Familien nicht den Gesundheitsschutz ihrer Kinder mit Behinderung oder gar ihre eigene Gesundheit in Gefahr bringen. Alle sind kreativ, haben Ideen zur Umsetzung – ganz pragmatisch. Für jeden Einzelfall.

Das Kultusministerium hat bereits im März Wege für eine Notbetreuung der Kinder mit Behinderung in SBBZ und Schulkindergärten aufgezeigt. Doch diese Möglichkeiten verpufften ganz oft, weil vor Ort Verantwortliche vermutlich Angst vor der Verantwortung haben, Angebote zu schaffen. In Elternbriefe wird vor der Inanspruchnahme von Angeboten der Notbetreuung gewarnt und auf die vielen Risiken hingewiesen. Eltern werden dadurch eingeschüchtert, sich zu melden und um Hilfe und Notbetreuung zu bitten.

Mich erreichen in den letzten Wochen viele solche Rückmeldungen. Und für mich das Schlimmste daran: ich kann nur zuhören, bin hilflos, kann ich konkret weiterhelfen. Dabei würde ich gerne mit der Faust auf den Tisch hauen, zum Telefonhörer greifen und den jeweiligen Verantwortlichen anweisen, doch bitte, bitte pragmatische Lösungen zu finden – natürlich mit dem nötigen Abstand und der Einhaltung der Hygieneregeln. Ja, das ist schwierig bei Kindern mit komplexen Behinderungen, die vielleicht nicht verstehen, was gerade los ist. Aber wir alle müssen es probieren, erklären, erklären und nochmals erklären. Wir müssen alles dafür tun, dass wir wieder langsam in den Alltag zurückfinden. Wir müssen uns selbst schützen, unsere Kinder, betreuende Kräfte, Lehrerinnen und Lehrer – einfach alle. Aber das erreichen wir nicht mit immer komplizierteren Dienstanweisungen und Warnungen. Wir müssen überlegen, wie wir Menschen mit Behinderungen begleiten können in ihren Alltag in Schulkindergarten, SBBZ, WfbM oder Tagesförderstätte – und welche Schutzmaßnahmen wir dazu brauchen. Geben wir zu: wir haben alle ein mulmiges Gefühl. Wir wissen alle nicht, was wirklich richtig oder falsch ist. Uns verbindet aber der Wille, was zu tun, was hilft. Im Kleinen und im Großen.

„Wir beraten persönlich: mit Regenschirm und Abstand.“

Wir haben unsere persönlichen Beratungen derzeit auch eingestellt. Oder auf ein Minimum reduziert. Das gilt auch für unsere Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatungen (EUTB) vor Ort. Und dennoch sind wir für alle da. Und – mit Abstand – gelingen auch kreative Lösungen für persönliche Beratungen. Ein Beispiel meiner Reutlinger EUTB-Kollegin Brigitta Hermanutz: „Gestern saß ich bei einer Klientin im Vorgarten bei Regen – eingepackt in eine Decke und mit Regenschirm versehen. Sie saß in ihrem Zimmer am offenen Fenster und so haben wir unsere Beratung gemacht. Das öffnet doch ganz neue Perspektiven.“